Geil, heute fängt der Berg an! Berg, Berg, Berg! Euphorie, Biervorrat aufstocken, Bergtrash-Playlist laut aufdrehen. Geil!

Wir haben alle richtig Bock auf den Berg. Es wird super werden, Besuch ist da, zum Auftakt grillen, singen und trinken. Alle werden zusammen eine gute Zeit haben. Spaß haben ist der zentrale Punkt.

Wer darüber hinaus den Fokus verliert und mal nach rechts und links von der Bierbank blickt, kann vieles beobachten. Die guten und die schlechten Zeiten der feiernden Menge.fem

Zum ersten Mal kann man dieses Jahr am Berg und in der Stadt auch die sogenannten Rettungsinseln entdecken. Die Rettungsinseln sind Teil einer Kampagne der Stadt Erlangen, der Polizei und dem Verein „Notruf und Beratung für vergewaltigte Mädchen und Frauen“ und sollen Anlaufstelle für alle Menschen sein, die am Berg, davor oder danach mit sexueller Belästigung und Gewalt konfrontiert sind. Diese Initiative ist eine super Sache: Nicht nur, weil sie direkt vor Ort Hilfe und einen geschützten Raum bietet, sondern auch, weil sie die ErlangerInnen schon seit vergangener Woche auf dem Martin-Luther-Platz allein durch ihre Existenz, die „Insel“ steht bereits, auf die Tatsache aufmerksam macht, dass es Menschen am Berg gibt, die Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Gewalt machen.

Allein, dass sich so viele Menschen über diesen Fakt wundern, ist krass – anscheinend haben sie noch nie ihr blaues Wunder erlebt – was ja nicht nur am Berg erlebbar ist, sondern auf jeder Festivität, wo Alkohol in rauen Mengen fließt.

Alles super also, seit diesem Jahr ist der Berg um eine soziale und kritische Institution reicher. Bleibt zu hoffen, dass sie gar nicht benötigt wird und die Rettungsinseln als einsame Inseln im Meer der BergsteigerInnen treiben und höchstens als witzige Attraktion dienen, oder? Klar wäre das schön und allen Mädels und Frauen zu wünschen. Davon auszugehen wäre aber auch ein bisschen weltfremd.

Was wirklich zu hoffen wäre ist, dass Mädels selbstsicher am Berg feiern, im tief dekolletiertem Dirndl oder auch ohne und Spaß haben – beim Trinken, beim Tanzen und Singen.

Der größte Gegner der Rettungsinseln ist die Coolness, die es am Berg an den Tag zu legen gilt. Nur wenige Frauen und Mädels sind tatsächlich cool genug, um einem geilen Spruch einen noch geileren entgegenzusetzen, eine fremde Hand vom Oberschenkel zu nehmen, die sich da absolut nicht gut anfühlt. Die große Mehrheit allerdings möchte keinen unnötigen Stress machen und sorry, über dem bissl „Deine Titten sind so geil. Grabsssch“ – sollte heutzutage doch jede stehen.

Kein Mädel fühlt sich heute Männern gegenüber noch benachteiligt. Da kann frau dann über den ein oder anderen nicht so gemeinten ausgerutschten Griff in den Schritt oder an den Hintern schon mal hinwegsehen.

Und trotz aller Gleichberechtigung, die anscheinend herrscht, muss doch bei verschiedenen Begebenheiten die Stirn gerunzelt werden. Unter den auf jeden Fall sinnvollen „Tipps für einen sicheren Bergbesuch und zum Schutz vor sexueller Gewalt“, die wie die Rettungsinseln ebenfalls Bestandteil der Kampagne „Spaß haben – keinen Ärger. Keine sexuelle Gewalt am Berg!“ sind, finden sich Ratschläge wie nicht alleine nach dem Berg nach Hause zu gehen oder sich jemandem Fremden anzuschließen. Klar sind andere Empfehlungen, wie nicht zu viel Alkohol zu trinken wohl an alle BesucherInnen gerichtet, aber trotzdem wird hier die Diskrepanz zwischen Männern und Frauen sehr deutlich. Keiner meiner männlichen Freunde wird sich in den kommenden Tagen überlegen, ober er nach dem After Berg alleine, volltrunken und freizügig angezogen mit nackten! Waden heim laufen kann. Wirklich keiner! Während es auch für mich eine Selbstverständlichkeit ist, mich frei und sicher in Erlangen zu bewegen, scheine ich mir das während des Bergs nochmal durch den Kopf gehen lassen zu sollen. Oder einfach keines von diesen krassen Dirndl anziehen, oder?

Aber ganz im Ernst und zum Ende der Ironie: So cool gleichberechtigt sich alle fühlen, so viel Spaß alle miteinander haben wollen – zur Bergzeit verschiebt sich für viele das Maß – durchs Maß, haha. Mit großen Brüsten für Parties zu werben ist nicht das Gleiche wie mit strammen Männerwaden (auch wenn in Bayern beides wohl als sekundäres Geschlechtsmerkmal gilt). Und als Frau betrunken und alleine nach dem Berg heim zu laufen ist nicht das Gleiche wie für einen Mann. Gleichberechtigung und Spaß, jaaa, bitte, bitte! Aber traut euch auch einzugestehen, dass es viele Situationen gibt, wo die Gleichberechtigung leider absolut nicht gegeben ist und wo es kein Zeichen von Uncoolsein ist, sich unwohl zu fühlen, zu widersprechen und Hilfe zu suchen. Denn tatsächlich habe ich genauso Lust unbekümmert am Berg zu feiern, wie alle Jungs, mit denen ich losziehen werde.

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